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Pedale und Performance
Freitag, 20. Juni 2025

Pedale und Performance

Wie Sie fit bleiben auf dem Rennrad
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Ulrich Bartholmös
Ultracyclist und Berater
Liebe Leserin, lieber Leser.

Wann haben Sie zuletzt Ihre Fahrradkette wirklich gründlich gepflegt? Ich spreche nicht vom gelegentlichen Tropfen Öl nach der Regenfahrt, sondern von einer durchdachten Strategie, die darauf abzielt, Reibung zu minimieren, Effizienz zu maximieren und dabei auch noch das Material zu schonen.

Ich selbst gehörte lange zur Fraktion „Öl drauf und weiter“ – schnell, unkompliziert, funktional. Doch manchmal ändern sich die Anforderungen – oder die Ambitionen. Heute habe ich ein Thema für Sie, an dem sich die Geister scheiden. Ein Selbstversuch, geboren aus Ehrgeiz.

Hauptsache, gut geschmiert: Mit Öl oder Wachs auf der Kette zu experimentieren, kann sich für Fahrradbegeisterte lohnen

Hauptsache, gut geschmiert: Mit Öl oder Wachs auf der Kette zu experimentieren, kann sich für Fahrradbegeisterte lohnen

Анатолий Тушенцов / Getty Images / iStockphoto

In meinem Fall war es die Vorbereitung auf ein Langdistanzrennen von Madrid nach Barcelona. 700 Kilometer, nonstop. Mein Ziel: die Strecke mit über 6000 Höhenmetern in 24 Stunden zu bewältigen. Da spielt Aerodynamik eine große Rolle, Reifen mit wenig Rollwiderstand und generell alles, was hilft, „Marginal Gains“ zu nutzen. Wer um jede Minute kämpft, beginnt irgendwann, sich mit zugegebenermaßen merkwürdigen Details zu beschäftigen. Meine Frage nun: die Kette wachsen oder ölen?

Der Startpunkt: Welche Kettenschmierstoffe gibt es eigentlich?

Wer sich das erste Mal näher mit dem Thema Kettenschmierung beschäftigt, wird schnell feststellen: Öl ist nicht gleich Öl. Und überhaupt ist das, was wir umgangssprachlich als Kettenöl bezeichnen, in vielen Fällen gar kein echtes Öl, sondern ein synthetisch formulierter Schmierstoff mit speziellen Additiven.

Grundsätzlich lassen sich Kettenschmiermittel in drei Hauptkategorien einteilen: klassische Schmierstoffe (Öle), Flüssigwachse und feste Wachse.

Die klassischen Kettenöle haben entweder eine mineralische oder synthetische Basis und sind in unterschiedlicher Viskosität für Trocken- oder Nassbedingungen erhältlich. Sie lassen sich einfach anwenden, dringen gut in die Kettenglieder ein, müssen jedoch regelmäßig nachdosiert werden und neigen dazu, Schmutz anzuziehen.

Flüssigwachse sind eine Art Hybrid: Sie kombinieren die einfache Anwendung von Öl mit den sauberen Eigenschaften von Wachs. Sie werden wie Öl aufgetragen, enthalten jedoch Wachsanteile, die nach dem Verdunsten des Lösungsmittels einen trockenen Schmierfilm bilden. Im Vergleich zu echtem heißem Wachs ist die Performance etwas geringer, dafür ist die Anwendung alltagstauglicher.

Heißwachs bietet das höchste Maß an Sauberkeit und Effizienz, erfordert jedoch eine aufwendige Vorbereitung und regelmäßiges Nachwachsen im geschmolzenen Zustand.

Daneben existieren keramische Schmierstoffe, die häufig als „Hightech“-Lösungen vermarktet werden. Diese bestehen meist aus einer synthetischen Trägerflüssigkeit mit keramischen Partikeln, die einen besonders reibungsarmen Gleitfilm erzeugen sollen. Sie bewegen sich leistungsmäßig zwischen Öl und Wachs, sind aber ebenfalls anfällig für Verschmutzung.

Eine Randnotiz: PTFE-haltige Produkte (Teflon) wurden früher häufig verwendet, stehen heute jedoch aufgrund ihrer Umweltbelastung in der Kritik und verschwinden zunehmend vom Markt.

Für alle gilt: Das „beste“ Schmiermittel hängt vom Einsatzbereich, dem Pflegeaufwand, der Witterung und dem persönlichen Anspruch ab. Es lohnt sich, ein wenig zu experimentieren – und zu beobachten, was Kette und Kassette einem nach ein paar Hundert Kilometern darüber erzählen.

Mein Experiment: Warum überhaupt Wachs?

Öl ist im Alltag die einfachste Lösung: Man trägt es direkt auf die Kette auf, ein paar Umdrehungen später ist alles geschmeidig. Es kostet kaum Zeit, funktioniert bei fast jedem Wetter und lässt sich auch unterwegs problemlos nachdosieren. Der Nachteil liegt allerdings in der Schmutzanfälligkeit. Staub, Sand und Straßenpartikel binden sich an das Öl, es bildet sich ein schmieriger Film, der sich auf Kettenblättern, Kassette und Rahmen verteilt. Nicht nur ein ästhetisches Problem – auch die Reibung steigt, die Effizienz sinkt. Für meine 24 Stunden von Madrid nach Barcelona also ein potenzieller Nachteil.

Wachs dagegen funktioniert völlig anders. Es bildet eine trockene Schutzschicht, die weder klebt noch Schmutz anzieht. Wer einmal mit einer gewachsten Kette gefahren ist, kennt das fast schon unheimlich saubere Gefühl: kein schwarzer Film, kein Kettenfett auf der Wade, keine Geräusche – nur leiser, leichtgängiger Antrieb. Das hat seinen Preis: Wachs erfordert einen deutlich höheren Initialaufwand und ein gewisses Maß an technischer Sorgfalt.

Die Vorteile der gewachsten Kette

Was sich jedoch lohnt, ist der Blick auf die technischen Vorteile. Unabhängige Labortests zeigen: Eine gewachste Kette spart im Vergleich zu einem herkömmlich geschmierten Antrieb zwischen zwei und fünf Watt. Bei gleichbleibender Leistung bedeutet das, dass man entweder schneller fahren oder bei gleicher Geschwindigkeit länger durchhalten kann. Besonders bei Langstreckenrennen, wo Effizienz über Stunden zählt, summieren sich solche Einsparungen auf mehrere Minuten – manchmal sogar auf Stunden, wenn man auch den geringeren Verschleiß bedenkt.

Um es anschaulich zu machen: Fünf Watt mehr Leistung über 700 Kilometer in 24 Stunden verschaffen mir einen Zeitvorteil von rechnerisch 11,5 Minuten. Mancher mag denken: Ja, unter Laborbedingungen. Das mag richtig sein – aber würden Sie Nein sagen zu „geschenkten“ 11,5 Minuten, die Sie sich ohne zusätzliche Anstrengung nur durch eine gute Vorbereitung verdienen können?

So funktioniert das Wachsen – Schritt für Schritt

Die wichtigste Voraussetzung für eine gut funktionierende Wachsbehandlung ist eine absolut saubere Kette. Wer glaubt, mit einem Lappen und etwas Reiniger sei es getan, wird schnell merken: Das Wachs haftet nicht. Ich habe meine Kette mehrfach in Lösungsmittel eingelegt, in Isopropanol gespült und anschließend in einem kleinen Ultraschallgerät gereinigt. Nur so lässt sich die Oberfläche fettfrei vorbereiten.

Das eigentliche Wachsen erfolgt in einem Wachskocher (die gibt es für knapp 100 Euro, ansonsten funktioniert beispielsweise auch ein alter Reiskocher). In dem wird das Wachsgranulat bei etwa 90 Grad geschmolzen. Die Kette wird darin vollständig eingetaucht und mehrere Minuten bewegt, damit das heiße Wachs in jedes Kettenglied eindringen kann. Circa 15 Minuten wirken lassen.

Nach dem Herausnehmen härtet das Wachs rasch aus – die Kette sieht dann fast aus wie lackiert, ist steif und muss gebrochen und wieder am Rad montiert werden. Nach ein paar Kilometern Fahrt wird sie jedoch geschmeidig und läuft nahezu geräuschlos.

Für wen lohnt sich der Aufwand – und für wen nicht?

Ob das Wachsen für Sie sinnvoll ist, hängt stark vom Einsatzzweck und Ihren Prioritäten ab. Wer regelmäßig Langstrecke fährt, an Ultra-Events teilnimmt oder schlicht Freude an einem perfekt gewarteten Rad hat, wird mit Wachs belohnt. Gerade bei trockenen Bedingungen auf Asphalt oder Schotter spielt es seine Vorteile voll aus. Auch Vielfahrer, die hohe Kilometerleistungen erreichen, profitieren wirtschaftlich – denn weniger Verschleiß bedeutet auch weniger Ersatzteile.

Weniger geeignet ist das Verfahren hingegen für Alltagsradler, die bei jedem Wetter unterwegs sind, oder für Fahrerinnen und Fahrer, die möglichst wenig Zeit mit Materialpflege verbringen wollen. Auch auf nasser Winterstrecke kann klassisches Öl mit hoher Haftung einfacher und robuster sein – dafür dann eben mit mehr Reinigungsaufwand.

Mein Fazit nach dem ersten Selbstversuch

Ich gebe zu: Der Aufwand war nicht ohne. Es hat Zeit, Planung und ein wenig Experimentierfreude gebraucht. Aber das Ergebnis hat mich überzeugt – sowohl technisch als auch emotional. Die gewachste Kette lief leise, sauber, leichtgängig – und vor allem: über Hunderte Kilometer ohne Nachschmierung. Während andere bei der Verpflegungspause mit öligen Fingern hantierten, konnte ich mich auf das Wesentliche konzentrieren: das Fahren.

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Für mich war es der Einstieg in eine neue Welt der Materialpflege, mit klarer Tendenz zur Wiederholung. Und wer sich nicht sicher ist, dem rate ich: Probieren Sie es einfach aus. Bereiten Sie zwei Ketten vor – eine gewachst, eine geölt – und wechseln Sie nach Bedarf. Am Ende zählt das Erlebnis auf dem Rad. Und wenn es dabei noch leiser, sauberer und effizienter wird: umso besser.

In diesem Sinne: Reibung raus, Leistung rein.

Ihr Ulrich Bartholmös

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